Wenn gute Ratschläge bei Handicap nicht helfen - Kölblin-Herzig

Wenn Ihnen gute Ratschläge bei einem Handicap nicht helfen

Ich war erschrocken, als ich meinen ehemaligen Klienten nach längerer Zeit wiedersah. Er hatte mich angerufen, weil er in der Nähe war und er mit mir reden wollte. Was ihn in meine Nähe gebracht hatte, war ein Bandscheibenvorfall. Deswegen war er aktuell in einer Reha-Einrichtung untergebracht. Dort fuhr ich dann hin, um ihn zu treffen.

Das erste krasse Erlebnis an diesem Tag: Die Reha-Einrichtung war für Besucher nicht barrierefrei. An diesem Ort hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich die Lage scannen musste, um mir über die Haltepunkte klar zu werden, an denen ich meinen Weg festmachen konnte. Hat mich daran erinnert, dass noch eine Menge zu tun ist, bis die Menschen Barrierefreiheit und ein Leben mit Handicap wirklich verstehen.

Das zweite krasse Erlebnis für mich war, zu beobachten, wie mein Klient mit der Situation, in die er durch den Bandscheibenvorfall gekommen war, umging: Wie blockiert er war dafür, seiner Lage etwas Positives abzugewinnen. Wie sehr ihn dieses Handicap, das er temporär hatte, aus der Bahn warf.

Was also konnte ich tun, um ihm – und ebenso natürlich auch allen meinen Klienten, die in einer Sackgasse stecken (vielleicht ja sogar Ihnen) – zu helfen?

Es gibt nur noch das Handicap

„Guter Rat ist teuer!“, so heißt es ja gerne, wenn Hilfe teuer verkauft wird. Allerdings sind viele gute und teure Ratschläge leider oft wirkungslos. Dies erlebte ich bei meinem ehemaligen Klient. Für ihn gab es nur diesen Einbruch in sein Leben – das Handicap: Alles war nun anders. Was zuvor möglich war, ging nun nicht mehr. Sein ganzer Fokus war auf die negativen Auswirkungen seines Bandscheibenvorfalls gerichtet: Die Stufen zu seiner Wohnung. Die Waschmaschine, die er im Keller hat. Der geplante Urlaub. Alles nicht zu machen, alles nicht zu erreichen. Dass sich sein Leben durch das Handicap Bandscheibenvorfall nun temporär änderte, färbte seine komplette Zukunft ein.

Ich denke, das bewog ihn, mich anzurufen: Im Umgang mit einem Handicap war ich schließlich erfahren. ,Hey, total mein Ding und täglich Brot!’ Was er mir schilderte, bestimmt als Widrigkeiten ja mein ganzes Leben, wie ich beim Einparken vor der Reha-Einrichtung ja auch wieder einmal bemerken durfte. Er war sich sicher, dass ich ihm in seiner jetzigen Situation helfen könnte. Ihm vielleicht aus meiner Erfahrung Impulse liefern. Vielleicht auch, ihn beruhigen: Ist doch gar nicht so schlimm, schau mich doch mal an – wenn ich es schaffe, schaffst du es auch.

Aber ich wollte ihn nicht beruhigen. Ich wollte ihm auch nicht das Gefühl nehmen, dass sein Handicap gar nicht so schlimm ist. Ich wollte ihn fordern. Was ich wollte, war, für ihn spürbar zu machen, dass er diese Situation aktiv für sich und seine Zukunft nutzen kann.

Blockaden auflösen, mit dem Handicap leben

Er war gleich mehrfach blockiert: 

Er war für Ratschläge nicht zugänglich. Nicht für Ratschläge des Psychologen aus der Reha-Einrichtung („Der Schmerz ist dein Freund!“), nicht für Ratschläge von mir, die ich ihm schon gar nicht versuchte zu geben, eben weil ich seine Blockade spürte.

Er war für ein Herantasten an die Ursachen seines Bandscheibenvorfalls blockiert: Könnte es etwas in seiner inneren Haltung geben was sich auf seine Wirbelsäule so ausgewirkt hat?

Vor allem aber war er für die Möglichkeiten blockiert, wie er einen positiven Umgang mit seinem Handicap finden kann.

Warum?

Weil sein Kopf einfach nicht ansprechbar war. Weil seine Emotionen, seine eigenen Erfahrungen, die er bislang gemacht hatte, seine Ängste, seine Zweifel sein Denken beherrschten. Seine mentale Ebene war so blockiert von seiner allein negativen Sicht auf sein Handicap, dass ich diese gar nicht erst anzusprechen brauchte.

Eine Situation, die mir in meiner Arbeit mit Menschen oft begegnet. Und wenn Sie in einer solchen Situation nicht einlenken, die Blockaden nicht erkennen, Ihr Gegenüber mit guten Ratschlägen überhäufen, dann sorgen Sie dafür, dass diese Ratschläge selbst zum Handicap werden. Weil sie die Blockaden noch verstärken.

Was ich in einem solche Fall dann tue; Ich verlasse die mentale Ebene und spreche den Körper an, um einen Weg zu zeigen, wie ein gutes Leben mit Handicap möglich ist.

Body to Brain

Unter den vielfältigen Möglichkeiten, Menschen zu helfen, die je nach Situation angewandt werden können, finde ich die Body-to-Brain-Methode sehr spannend.

Als mir klar wurde, dass ich bei meinem Klienten über die mentale Schiene nicht weiterkomme, habe ich diese angewandt – und zwar indem ich in diesem Fall meinen Körper benutzte, um meinem Klienten Impulse zu geben.

Die Methode (schreiben Sie mir gerne, wenn Sie darüber mehr erfahren möchten) besagt, kurz erklärt, dass Sie Ihren Kopf überlisten können, wenn Sie Ihren Körper benutzen. Zum Beispiel bestimmte Bewegungen ausführen. Die Signale, die dann vom Körper ausgehen, verändern Ihre mentale Stimmung.

Das Signal, das ich an diesem Tag vor der Reha-Einrichtung meinen Körper aussenden ließ und das die mentale Stimmung meines Klienten veränderte, war: dass ich augenscheinlich nicht in der Lage war, zu meinem Auto zurückzukehren, um ein Mitbringsel zu holen, das ich dort vergessen hatte. Mein Handicap hätte mir in diesem Moment mental im Weg stehen können: Aber ich fragte Passanten um Hilfe: „Können Sie mir bitte Ihre Schulter leihen?“ – und erweiterte so gewissermaßen meinen Körper. Und dieses um Hilfe bitten, wie ich an der Schulter eines anderen Menschen Halt fand, um zu tun, was ich tun wollte, um mich nicht von meinem Handicap bestimmen zu lassen, gab meinem Klienten dann einen Impuls, seine Lage anders zu sehen.

Dadurch, dass ich körperlich auf eine Weise agierte, die ihm in diesem Moment fremd war, erkannte er, was er an Fähigkeiten hat, um sein Leben – trotz Handicap – zu leben. Er verstand dadurch: Ich kann um Hilfe fragen. Ich kann Lösungen finden. Ich kann meinen Weg gehen … 

Ihr Thomas Kölblin-Herzig

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